Tipps und Urteile

Verhaltensbedingte Kündigung wegen der unsachgemäßen Handhabung eines besonders scharfen Filetiermessers unwirksam. (Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 13.07.2023, Aktenzeichen 5 Sa 5/32)
Der Kläger in diesem Verfahren ist als Industriemechaniker bei der Beklagten beschäftigt. Es wurde von ihm gemeinsam mit einer Kollegin beim Probierstand eine Heringsanlage erprobt. Bei dieser Arbeit brachte der Kläger ein von ihm in der Hand gehaltenes Filetiermesser sehr nah an den Hals einer Kollegin, mit der gemeinsam er diese Arbeit ausführte. Die betroffene KKollegin beschreibt die Situation so, dass sie sich sehr erschrocken habe, sich nicht bewegt und reflexartig gelacht habe. Sie habe dem Arbeitnehmer gesagt, dass er das Messer wegnehmen solle. Sie sei mit der Situation überfordert gewesen. Der Arbeitnehmer habe das Messer weggenommen, auf die Situation aber nicht weiter reagiert.
Die Arbeitnehmerin war über diesen Vorfall so beunruhigt, dass sie sich 3 Arbeitstage nach dem Vorfall an die Vorarbeiterin und 6 Tage danach an 2 Betriebsratsmitglieder wandte. Vom Betriebsrat aus wurde dann einen Tag später der stellvertretende Produktionsleiter informiert.
Der Arbeitnehmer war zwischenzeitlich im Urlaub gewesen und wurde nach seinem Urlaub angehört. Er gab an, dass er sich an den Vorfall nicht erinnern könne. Wenn so etwas geschehen sei, wäre es, so der Arbeitnehmer, keine mutwillige Bedrohung der Arbeitnehmerin gewesen.

Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein sah weder die von der Arbeitgeberin ausgesprochene verhaltensbedingte noch die als Verdachtskündigung ausgesprochene außerordentliche Kündigung noch die ordentliche Kündigung als wirksam an.
Eine Bedrohung der Arbeitnehmerin im Sinne von § 241 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB setzt vorsätzliches Handeln voraus. Es sei aber denkbar, dass der Kläger sich mit dem Messer in der Hand zum Oberkörper der Zeugin hin gedreht habe und dabei das Messer so nahe an den Hals der Zeugin gehalten habe. Das ergebe sich aus der Sitzposition der beiden Arbeitnehmer (die Arbeitnehmerin saß niedriger als der Kläger und war von der Körpergröße her kleiner). Es sei für das Gericht nicht klar, dass der Kläger das Messer mit hoher Wahrscheinlichkeit durch eine bewusste Handlung an den Hals der Zeugin führen wollte. Gegen den Vorsatz spreche auch, dass der Kläger das Messer sofort heruntergenommen habe.
Auch eine Verdachtskündigung käme nicht infrage, so das Landesarbeitsgericht. Selbst wenn es unterstellen würde, der Vortrag der Arbeitgeberin, der Kläger habe das Messer fahrlässig an den Hals der Arbeitnehmerin geführt, sei eine Kündigung nicht gerechtfertigt. Es hätte eine Abmahnung ausgesprochen werden müssen.

Bewertung / Tipp:
Das Ganze hätte in jeder Hinsicht anders ausgehen können, sowohl hinsichtlich möglicher Verletzungen der Arbeitnehmerin als auch hinsichtlich der Kündigungsschutzklage.
Grundsätzlich ist es aber richtig, dass eine Abmahnung vor Ausspruch von verhaltensbedingten Kündigungen nur dann entbehrlich ist, wenn von vorneherein klar ist, dass ein Arbeitnehmer auch auf die Abmahnung hin sein Fehlverhalten in Zukunft nicht abändern wird oder wenn die Pflichtverletzung so schwerwiegend ist, dass selbst deren nur einmalige Hinnahme der Arbeitgeberin nicht zuzumuten ist.
(eingestellt am 01.04.2024)